Das Flüchtlingsdrama hat Deutschland erreicht. Mit ihm erwuchsen eine Welle der Hilfsbereitschaft und zahlreiche „Willkommensinitiativen“. Aber warum erst jetzt? Schließlich drängen seit zehn Jahren immer mehr Menschen nach Europa, leiden und sterben bei der Flucht und hoffen auf Unterstützung für ein besseres Leben. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die Hilfsbereitschaft zeigt in der Praxis das, was die Spenderpsychologie lehrt.
Gleichzeitig Vor Italien ertrinken seit einem Jahrzehnt Menschen in überfüllten Fischerbooten. Der traurige Höhepunkt war im Oktober 2013 als mehrere hundert Menschen vor der Küste Lampedusas ertranken. Das hat viele Menschen erschüttert. An den Zuständen – auch in den seit Jahren überfüllten Auffanglagern – änderte sich wenig. Italien wurde sowohl von den europäischen Regierungen allein gelassen als auch von privaten Spenden aus dem Ausland weitestgehend „verschont“.
2015 ein anderes Bild: Diese Woche sprach ich mit der Geschäftsführerin des Diakonischen Werkes in Köln und der Region. Sie berichtet, dass es derzeit weder an Geld noch an Hilfsbereitschaft mangele. Im Gegenteil: Die Bürger bieten mehr Engagement an als derzeit bedient werden kann. Die Herausforderung bestünde vielmehr darin, Ordnung und Struktur in das Wirrwarr der unzähligen, auch neuen Initiativen zu bringen, damit die Hilfe sinnvoll koordiniert werden könne.
Woher der Sinneswandel? Warum „packt“ die deutschen das Thema jetzt?
Wir erleben hier ein Paradebeispiel dessen, was uns die Spenderpsychologie lehrt. Spendenwerbung ist erfolgreich, wenn Fundraiser drei Faktoren bedienen, damit die Menschen >> empathisch mitfühlen können und anschließend handeln.
Nähe
Um das Leid eines anderen zu erkennen und nachzuempfinden, müssen Spender Nähe erleben. Damit ist zum einen die >> psychologische Nähe gemeint, also die Ähnlichkeit mit dem Hilfebedürftigen und seiner Situation. Da die wenigsten Deutschen sich mit den Ländern und Kulturen identifizieren, aus denen die Flüchtlinge stammen, ist das Thema „psychologisch“ zu weit weg. Eine Nähe spürten zuvor maximal diejenigen, die nach dem Krieg vertrieben wurden oder die DDR vor dem November 1989 verlassen haben. Sie können nachempfinden, was es heißt, alles auf eine Karte zu setzen. Sie sind aber eine Minderheit in Deutschland.
Neben der psychologischen Nähe ist die räumliche Nähe entscheidend. Wer Not konkret beobachtet, wird eher helfen. Ein Mensch, der vor den Augen eines anderen ertrinkt, löst eine (direkte) Hilfereaktion aus. Ein Mensch, der „irgendwo“ ertrinkt, nicht unbedingt. Schlimme Zustände in Auffanglagern im fernen Italien sind nicht so konkret wie der Anblick der Flüchtlinge in unmittelbarer Nachbarschaft. Dabei spielt es keine Rolle, wo mehr Hilfe Not täte.
Anschaulichkeit
Je anschaulicher eine Situation, desto besser gelingt die für Empathie notwendige Perspektivübernahme. Anschaulichkeit resultiert aus unmittelbarem Erleben (s. räumliche Nähe) oder detaillierten Beschreibungen. Die Geschichte eines Einzelnen ist anschaulicher als statistische Informationen über die Gesamtmasse (der sogenannte Einzelopfereffekt). Einen Wendepunkt im Flüchtlingsdrama stellte dieses Jahr das Foto des dreijährigen Ailans dar, den das Meer tot an den türkischen Strand gespült hat. Seine Geschichte hat berührt, denn sie war anschaulich, konkret und detailreich (schnell waren Einzelteilen über die Familie, das Leben und die Flucht bekannt). Ganz im Gegensatz zu den tausenden namenlosen Toten, die es zuvor gegeben hat. Das eine Bild von Ailan ist stärker als die vielen Bilder von hunderten, nicht identifizierbaren Menschen, die auf einer kleinen Nussschale zusammengepfercht übers Meer schippern.
Wirksamkeit
Ein Mensch hilft nur dann, wenn er überzeugt ist, dass seine Hilfe etwas nützt. Die Beschreibung eines Einzelfalls ist hier ebenfalls von Vorteil, denn der Spender kann sich leichter vorstellen, dass sein verhältnismäßig kleiner Beitrag etwas bewirken kann.
Für eine Spende braucht der Helfer Vertrauen, dass die Spende ankommt. Gerade jüngere Spender sind tendenziell misstrauischer in Bezug auf gemeinnützige Organisationen. Sie hinterfragen die Wirksamkeit eher als langjährige Spender, die schon Vertrauen aufgebaut haben. Selbst mitanzupacken bringt dagegen den direkten Wirkungsnachweis. Jetzt, wo die Flüchtlinge hier bei uns angekommen sind, ist das möglich – und die Menschen bieten aktive Hilfe gerne an. Geldspender sehen ebenfalls mehr Wirksamkeit, weil sie an lokale Initiativen spenden können und sehen, was ihr Beitrag bewirkt.
Beim Thema Flüchtlinge kam alles verstärkt zusammen, und natürlich spielten weitere Faktoren eine Rolle. Zum Beispiel die mediale Präsenz oder die Tatsache, dass sich Helfer >> an ihrer Umgebung orientieren: Wenn die Hilfe im Bekanntenkreis ansteigt, führt das zu einem Nachahmungseffekt. Dennoch zeigt das Beispiel Flüchtlinge, dass es nicht nur darum geht, ob „ein Thema besser funktioniert“ als ein anderes. Denn das Thema besteht schon länger und war bisher nicht besonders „attraktiv“. Jedes Thema kann berühren, wenn es nah und anschaulich ist und die Hilfe aus Helfersicht wirksam erscheint.
GOLDWIND ermuntert Sie, sich Gedanken zu machen: Wie kann ich das Thema meiner Organisation nah und anschaulich rüberbringen und die Wirksamkeit unserer Arbeit herausstellen? Damit unterstützen Sie Ihre Spender bei der Entscheidung zu Helfen!