2020 war ein sehr gutes Spendenjahr. Davon haben mir viele NGOs berichtet – und nicht weniger hatte ich angesichts der Pandemie erwartet. Aber als ich die offiziellen Zahlen sah, fiel mir vor Schreck fast die Abendessengabel aus der Hand. Ich sah nicht nur den Anstieg, sondern auch einen bitteren Rückgang. Liebe Branche, bitte aufwachen. Jetzt!
Vor einigen Wochen veröffentlichte der Deutsche Spendenrat die deutschlandweiten Spendenzahlen in seiner jährlichen Bilanz des Helfens1. Ich sah es zuerst in der Tagesschau: Der erste Balken, der die Gesamtspendeneinnahmen anzeigte, baute sich länger auf als der von 2019. Das war das zweitbeste Ergebnis überhaupt. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter. Als ich im Frühjahr 2020 die Corona-Solidarität beobachtete, die sich durch das Land zog, habe ich früh die positiven Auswirkungen auf die Spendenbereitschaft >> prophezeit. Nun stand es da zur besten Sendezeit lila auf grau.
Dann wurde die Gesamtanzahl der Spender*innen berichtet und dieses Mal blieb der Balken vorzeitig stehen. Ich konnte es nicht fassen, er war kleiner als der von 2019! Wir haben die Solidarität quer durch alle Altersklasse erlebt. Menschen kauften für die Nachbarn ein, nähten Masken, schützten Risikogruppen, klatschten auf Balkonen und orderten massenhaft Gutscheine beim Lieblingsrestaurant und Buchladen um die Ecke (auch eine Art Spende). Warum schlug sich das nicht in der Gewinnung neuer Spendergruppen nieder??
Der Rückgang der Spender*innen an der Gesamtbevölkerung macht mir seit Jahren Sorgen. 2005 – im Tsunamijahr – lag er noch bei 51%. Jede*r Zweite*r in Deutschland! Mittlerweile sind es nur noch 28,5%. Etwas mehr als jede*r Vierte*r. Das ist alarmierend wenig! Vor allem, weil es sich überwiegend um Menschen aus den höchsten Altersgruppen handelt, die bald natürlicherweise ausscheiden.
Ich freue mich sehr, dass sich die „klassischen“ Spender*innen 2020 besonders engagiert haben und das tolle Ergebnis zustande brachten. Ich sehe aber die Gefahr des entspannten Zurücklehnens. Et hätt noch mal jot jejange, sagt man in Köln. Dabei sollten wir uns endlich mehr um die Nichtspender*innen kümmern. Vor allem um die Jüngeren. Und damit meine ich nicht die Babyboomer, sondern die noch viiiel Jüngeren. Nichtspender*innen gibt es in allen Altersklassen und die Gründe sind vielfältig. Sich aber nur auf Nachfolgegeneration der Kriegsgeneration zu stürzen, ist aus meiner Sicht zu kurz gedacht. Den Spendennachwuchs mit in den Blick zu nehmen, ist für mich eine zwingend notwendige Investition in die Zukunft.
Spenden basieren auf Erfahrung
Ich glaube nicht daran, dass Menschen einfach ins Spendenalter reinwachsen. Mit dem 60. Geburtstag sollen sie plötzlich etwas tun, was sie davor noch nie getan haben. Spenden ist psychologisch gesehen ein Verhalten, das wie alles andere „erlernt“ werden muss. Menschen müssen es ausprobieren, wieder tun, positive Erfahrungen damit machen und sich daran erinnern. Dann werden sie 60, haben alles abbezahlt, sind konsummüde und fragen sich, was sie auf der Welt hinterlassen wollen. Das gelernte Verhalten „Spenden“ wird dann intensiver, aber es entsteht nicht erst!
Für mein aktuelles >> Spenderinterview unterhielt ich mich mit zwei jungen Menschen, die nicht spenden. Dabei finden die das gar nicht doof. Sie haben nur keine Ahnung, wie es geht. Sie fühlen sich überfordert und schieben es weg. Weder zuhause noch im Freundeskreis reden sie darüber. Das Tabuthema Spenden und die Gefahren, die für das Fundraising daraus resultieren, habe ich schon vor knapp neun Jahren >> hier beschrieben und es ist jetzt akuter denn je.
Ein aus Fundraisingsicht weiteres Problem ist der Rückgang der religiösen Bindung. Der Zusammenhang zwischen Glauben und Spendenhäufigkeit ist hinreichend belegt. Wo die christliche Motivation, manifestiert in Nächstenliebe und dem selbstverständlichen Teilen und Zurückgeben, fehlt, braucht es neue Anreize. Der Spendenakt wird immer stärker zum Ausdruck des eigenen Selbsts werden. Das wird aber im Fundraising noch viel zu wenig bedient.
Das Spenden nahe bringen
Das Thema Spenden findet im Leben vieler Menschen nicht statt. Und das, obwohl sich gerade die 25-45-Jährigen sehr für zivilgesellschaftliche Themen interessieren. Aber sie haben zu Hause seltener vorgelebt bekommen, dass Spenden einen Wert im Leben darstellt und ein Ausdruck gesellschaftlichen Engagements ist. Auch das ist eine Konsequenz des Spenderrückgangs, die sich weiter verschärfen wird. Wie entscheidend das Elternhaus ist, zeigt Tim (30). Mit ihm sprach ich in einem früheren >> Spenderinterview. Er kommt aus einem Spendenhaushalt und hat sich schon in „Nicht-Spender-Jahren“ mit NGOs aktiv auseinandergesetzt. Um ihn müssen wir uns als Branche nicht sorgen.
Doch zu viele haben keine Berührungspunkte mit NGOs, weil sie in deren Kommunikation nicht stattfinden. Und sie suchen sie auch nicht. Typisch für die Generation ist nämlich auch, dass sie andere (Unternehmen, Vorgesetzte, Eltern usf.) in einer Bringschuld sehen. Wer etwas von ihnen will, muss auf sie zugehen. Und das am besten jetzt. Wenn Eltern, Freunde, Kirche, Schule immer weniger über das Spenden sprechen, werden die Menschen „vergessen“, dass es das gibt. Der Wunsch nach sozialem Engagement ist bei vielen da, er wird aber anders ausgelebt (werden). Das finde ich fatal, denn es wird immer Projekte geben, die sich nicht alternativ finanzieren lassen.
Wir können das aussitzen und hoffen, dass alles erst richtig dramatisch wird, wenn unsere Fundraisergeneration in Rente ist. Wir können aber – oder besser: sollten – überlegen, wie wir als Branche gemeinsam etwas dafür tun, dass mehr übers Spenden geredet wird. Der Giving Tuesday oder der bereits angeregte Deutsche Spendentag, sind gute Ansätze. Aber es braucht mehr Ideen, mehr Konsequenz und mehr Durchdringung. Kampagnen, Lobbyarbeit, Einbindung von Influencern, „Einführungskurse“, Spend-O-Mat, (Nicht-)Spenderstudien (>> GOLDWIND bietet übrigens auch Marktforschung an :-) ) und mehr… Denn sonst haben wir nicht nur die aktuellen Generationen, sondern auch alle folgenden verloren. Was man selbst nicht kennengelernt hat, gibt man nicht an seine Kinder weiter.
1 Bilanz des Helfens 2021: www.spendenrat.de/bilanz-des-helfens-2021 (die komplette Studie finden Sie am Ende der Seite)
Weiterlesen:
>> Tabuthema Spenden
>> Spenderinterview Lena (32) und Oliver (30)
>> Spenderinterview Tim (30)