Der Anteil der Spender:innen in der Bevölkerung geht Jahr um Jahr zurück. Umso wichtiger, neue Zielgruppen zu erschließen. Nach den Babyboomern wäre als nächstes die Generation X an der Reihe. Doch ich sage: Lasst mal, die taugt nix. Warum ich das denke, obwohl ich selbst dazu gehöre? Das verrate ich gerne.
Der Generationenwechsel ist im Fundraising längst angekommen. Während sich vor ein paar Jahren noch viele Fundraiser:innen zurücklehnten, weil sie noch genug Personen aus der „einfachen“ Zielgruppe der sogenannten Wiederaufbauer (oder: Traditionalisten) hatten, ist die Realität mittlerweile eine andere. Biologisch zwangsläufig sind die Wiederaufbauer, also die vor 1946-Geborenen, weniger geworden. Daran ändert auch die beste Kommunikation nichts. Die nachfolgende Generation der Babyboomer stellt bei den meisten Organisationen inzwischen die zahlenmäßig größte Gruppe dar – hier ist der Name Programm.
Mit dem Wechsel der Generation ging auch ein Wechsel der Kommunikation einher. Ob bewusst oder unbewusst, die Ansprache hat sich gewandelt und den Bedürfnissen der neuen Generation angepasst. Immer seltener finde ich klassische Wiederaufbauer-Texte. In Spendenbriefen kommt das noch vor, auf Webseiten fast gar nicht. Gut so!
Was mich besonders freut: Während sich viele Organisationen mit dem Kommunikationswechsel noch schwer taten, obwohl die Babyboomer schon längst da waren, scheinen jetzt einige vorausschauender zu planen. In den letzten ein bis zwei Jahren habe ich viele Vorträge zur Generation Y gehalten, die regen Zulauf hatten. Ja, genau, wir sprechen über die Küken aus Fundraisingsicht. Diejenigen, die ungefähr zwischen 1981 und 2000 geboren wurden. In der gängigen Fundraising-Denke eigentlich viel zu jung zum Spenden. Ich habe mich schon 2018 in einem Artikel dagegen verwehrt. Und 2021 auch. Und mittlerweile werbe ich offen für eine auf die Generation Y gerichtete Ansprache, weil ich sie aus vielen Gründen für eine sehr vielversprechende Zielgruppe halte – schon jetzt!
Wenn ich über Generationen und den damit einhergehenden Wandel spreche, adressiere ich stets auf die drei bisher genannten Generationen: Die "einfache", die "größte" und die "zukunftsträchtigste". Zurecht werde ich dann gefragt, was denn mit der Generation X sei, also der Zwischengeneration, die 1965 bis 1980 geboren wurde. Die verdienen gut, stehen mitten im Leben, die Familienplanung ist (meist) abgeschlossen. Die seien doch als nächstes dran. Ja, sage ich dann, das stimmt. Aber die Generation X zum Spenden zu bewegen, ist so hartes Brot, dann lieber gleich auf die Generation Y setzen. Und wenn ich mir die aktuelle Bilanz des Helfens 2023 anschaue, fühle ich mich leider bestätigt. Während die Generation Y in den letzten Jahren gegen den Trend mehr spendete, hat die Generation X am stärksten abgebaut.
Ich bin also skeptisch, was die Generation X angeht. Und damit eine typische Vertreterin eben dieser Generation. Denn sie gilt als skeptisch, vor allem gegenüber Autoritäten und Traditionen. Dazu zählen auch altbewährte Organisationen. Sie sind misstrauisch („die vielen Spendenskandale, man weiß nie, wo das Geld versickert“), skeptisch gegenüber offensiver Werbung („die setzen einen unter Druck, manipulieren mit der Mitleidsmasche“) und überhaupt: sie haben Aversionen gegen BRIEFE. Ein Zeichen, dass jemand technisch nicht mit der Zeit geht (so wie sie). >> Abwehr an allen Fronten.
Wenn ich mich in meinem Freundeskreis umhöre, finden alle gut, was ich beruflich mache. Aber selber spenden? Eher nicht. Zumindest nicht an die größeren Organisationen. Die sind ihnen suspekt (s. oben). Da findet zu viel im Verborgenen statt. Es wird eher an kleine, lokale Vereine gespendet, die man kennt und deren Arbeit man beobachten kann.
Wirkung ist der Generation X besonders wichtig: Sie wollen sehen (am besten mit eigenen Augen - traue nur dir selbst!), dass ihre Spende was bringt. Sie wollen Erfolgsgeschichten (mit-) schreiben! Schließlich ist es die Generation der Leistung, des Konsums, des Status – und der Erfolgsorientierung. Also, was leistet die NGO? Was kriege ich für mein Geld? Was bringt das ganz konkret? Diese Fragen werden ihnen zu selten klar beantwortet.
Die Generation X ist zielorientiert (was die eigenen, individuellen Ziele angeht). Daher haben auch mal Vereine eine Spenden-Chance, die eine klare Vision verfolgen, die man teilt. Doch gleichzeitig herrscht Perspektivlosigkeit. Was soll noch kommen? Was sich die Babyboomer noch erkämpfen mussten, war bei der nächsten Generation da und prinzipiell ungefährdet. Demokratie: Check. Frieden: Check. Wirtschaftlicher Wohlstand: Check. Sozialer Aufstieg: möglich oder durch die Eltern bereits realisiert. Umwelt: Ozonloch geschlossen, Waldsterben beendet, Mülltrennung perfektioniert – wird schon reichen. Da sind sie pragmatisch. Man tut nur, was unbedingt nötig ist.
Politisches Engagement, gesellschaftlicher Diskurs, Bewahren des Miteinanders, Einsatz für andere, das waren schlicht nicht die vorherrschenden Themen dieser Generation. Das sind aber die fundamentalen Werte des Dritten Sektors! Wo die Generation Y nach Sinn sucht und sich einbringen will, nur nicht richtig weiß, wo und wie, schaut die Generation X lieber eine Serie auf Netflix auf dem neuesten Ultra 4K-High Quality Fernseher.
Natürlich sind nicht alle so, in unserer Fundraising-Bubble finden sich die Gegenbeispiele. Aber wir sind die Minderheit. Genauso wie es unter den Wiederaufbauern eine Minderheit gibt, die nicht spendet. Daher bleibe ich dabei: Wenn ich die beschränkten Ressourcen, die eine NGO in der Regel hat, auf eine zukunftsorientierte Kommunikation fokussieren müsste, würde ich die Generation Y wählen. Die sind auch nicht einfach, weil sie einen komplett neuen Kommunikationsstil pflegen, den viele NGOs noch lernen müssen. Aber sie haben Lust, die Gesellschaft voranzubringen und sind offen für Projekte, die das auch wollen. Das ist eine verdammt gute Basis!
>> Falls Sie die skeptischen und nach maximaler Wirkung (=Leistung/Erfolg) suchenden Stimmen der Generation X im O-Ton lesen möchten, lege ich Ihnen die folgenden Spenderinterviews ans Herz: